07.07.2014

Wirtschaft verlangt nach mehr Staat

In der Finanz- und Wirtschaftskrise baute der Bundesrat die Exportrisikoversicherung um drei befristete Angebote aus. Jetzt will er sie fix im Recht verankern. Nachdem der Gewerbeverband zurückgepfiffen wurde, könnte dem Vorhaben nur noch die SVP im Wege stehen.

Artikel: St. Galler Tagblatt

BERN. «Es gibt zwei Möglichkeiten, grosse Projekte zu finanzieren», sagt Urs W. Berner. Er ist Inhaber und CEO der Urma AG, die im aargauischen Rupperswil Hochpräzisionswerkzeuge herstellt und zu 95 Prozent vom Export lebt. «Wenn Sie nicht über genügend Eigenkapital verfügen, brauchen Sie Fremdkapital. In der letzten Finanzkrise wurde es aber sehr schwierig, von den Banken noch Kredite zu bekommen», führt der Unternehmer vor einigen interessierten Parlamentariern an einem Anlass der Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektround Metallindustrie, im Hotel Bellevue in Bern aus.

Aus der Not heraus geboren

Deshalb sprang 2009 der Bund in die Bresche: Der Bundesrat traf Massnahmen, um die schädlichen Folgen der tiefen Risikobereitschaft und restriktiven Kreditvergabe der Banken abzufedern. Sein Ziel war es, die Liquidität der Exporteure zu verbessern. Er erweiterte die staatliche Schweizerische Exportrisikoversicherung (Serv) um drei Angebote – eine Fabrikationskreditversicherung, eine Bondgarantie und eine Refinanzierungsgarantie (siehe Kasten). Schweizer Exporteure können bei der Serv politische Risiken, Transferschwierigkeiten und Zahlungsmoratorien, höhere Gewalt, das Delkredererisiko und Risiken aus Garantien (Bonds) versichern lassen. Der maximale Umfang der Versicherungsleistungen liegt derzeit bei zwölf Milliarden Franken. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) – sie machen zwei Drittel der Klientel aus – kommen mit den Serv-Produkten leichter an Bankgarantien. Erst sollte das erweiterte Angebot befristet bis Ende 2011, dann bis Ende 2015 gelten. Nun will der Bundesrat die pezialversicherungen dauerhaft in die Angebotspalette aufnehmen. Zudem erhöht er den Deckungsgrad einzelner Produkte. Und auch der administrative Aufwand für den Versicherungsabschluss soll sinken. Die Botschaft zum revidierten Serv-Gesetz hat der Bundesrat kürzlich zuhanden des Parlaments verabschiedet. Die Beratung in den Kommissionen soll nach den Sommerferien beginnen.

Rime: «War ein Versehen»

Die Reaktionen in der Vernehmlassung fielen erst durchzogen aus. Der Schweizerische Gewerbeverband und die SVP sprachen sich gegen die dauerhafte Ausweitung des staatlichen Angebots aus, andere waren nur unter Vorbehalt dafür. So befürwortete die FDP zwar die Änderung, sie hielt aber fest, dass die Serv keinesfalls private Versicherungen konkurrieren und nur im nicht marktfähigen Bereich tätig sein dürfe. Beim Gewerbeverband ist man inzwischen zurückgekrebst. «Das war ein Versehen», sagt Präsident Jean-Fran¸cois Rime zur ursprünglichen Stellungnahme des Verbandes. Die Serv sei vor allem auch wichtig für Aufträge, die eine lange Entwicklungszeit haben. Gerade KMU hätten oft nicht die notwendige Liquidität, um die Zeit bis zur Bezahlung des Auftrages zu überbrücken. Viele kämen erst durch die Serv an Bankgarantien zu guten Konditionen.

SVP ist die grosse Unbekannte

Sorgen bereitet den Befürwortern–allen voran der Swissmem – nun vor allem noch die Haltung der SVP. Diese lehnt die Revision grundsätzlich ab. Im Vordergrund stehen für sie dabei zwei Gründe: Die Spezialversicherungen seien 2009 im Rahmen von Stabilisierungsmassnahmen vorübergehend eingeführt worden. «Nun kämen Produkte dauerhaft in den Gesetzestext, die nur in einer Sondersituation Hilfe leisten sollten», stört sich SVPNationalrat und Fraktionspräsident Adrian Amstutz (BE) aus staatspolitischen Gründen an der geplanten Gesetzesänderung. Als zweiten Punkt führt er die grosse Nachfrage an. Von 2009 bis 2012 hätten zu 80 Prozent KMU «vom staatlich aufgeblähten Auftragsvolumen von 4,4 Milliarden Franken profitiert». «Das deutet eher auf eine durch das Angebot verursachte Nachfrage hin, was wiederum nicht frei von marktverzerrenden Auswirkungen ist», sagt Amstutz. Seine Partei habe nicht vor, die Vorlage so einfach das Parlament passieren zu lassen. Wie geschlossen die Partei auftreten wird, ist indes noch offen. Der Zuger SVP-Nationalrat Thomas Aeschi jedenfalls befindet sich seit dem Parlamentariertreffen der Swissmem im Zwiespalt. «Aus ordnungspolitischen Gründen müsste man die Revision eigentlich ablehnen», sagt der Unternehmensberater. Es würden aber einige wirtschaftspolitische Gründe dafür sprechen. «Insbesondere, dass die ausländische Konkurrenz diese Produkte längst anbietet.»

Stadler Rail nutzt Serv-Produkte

Der ehemalige Thurgauer Nationalrat und Stadler-Chef Peter Spuhler führte am Parlamentariertreffen im Bellevue mehrere Beispiele aus seinem Unternehmen an, die ohne die staatliche Exportversicherung nicht hätten realisiert werden können: Darunter der Auftrag für 38 FlirtZüge für Estland oder für 25 Doppelstocktriebzüge für Russland. Bei der Ausschreibung von 4000 Wagen für Südafrika konnte Stadler dank der Versicherungszusage der Serv überhaupt erst mitbieten. Auch beim aktuellen Auftrag aus Aserbaidschan macht Stadler von der Fabrikationskreditversicherung der Serv Gebrauch. Schon seinerzeit als Nationalrat hatte sich Spuhler für dieses Dossier stark gemacht – und musste stets vor allem in der eigenen Partei viel Überzeugungsarbeit leisten. «Hauptkriterium ist, dass die Serv ihre Kosten selber decken kann», betonte Spuhler vor den Parlamentariern. Wichtig sei auch, dass die Serv keine Konkurrenz zu privaten Versicherern darstelle. In anderen EU-Ländern seien die drei neuen Serv-Produkte ausserdem längst Standard. Die Revision des Serv-Gesetzes schaffe demnach gleich lange Spiesse und verringere damit die Benachteiligung Schweizer Exporteure.