04.12.2015

«Es gab für uns nur eine Chance»

Artikel. SMM

Urs W. Berner – CEO und Inhaber der Urma AG – gehört zu einem derjenigen Schweizer Unternehmern, die nicht nur konsequent nach vorne schauen, sondern ebenso ihren Blick nach links und rechts richten. Mit positivem Resultat: Die Erweiterung der Urma-Fabrikhallen in Rupperswil ist ein sichtbarer Erfolg und Resultat richtiger strategischer Entscheide der letzten 15 Jahre.

SMM: Mit der Erweiterung Ihres Unternehmens setzten Sie ein positives Zeichen und vor allem einen Kontrastpunkt zur aktuell schwierigen Lage am Werkplatz Schweiz, wo andere MEM-Unternehmen Arbeitsplätze abbauen und ihre Produktion ins Ausland verlagern.

Urs W. Berner: Das liegt sicher daran, dass wir uns eine besondere Stellung strategisch erarbeitet haben. Unser Unternehmen verfügt über drei Standbeine. WZM-Handel, Ausdrehwerkzeuge und Reibsysteme. Unsere Reibwerkzeuge haben uns einen massiven Schub gebracht. Wir haben im Werkzeugbereich über 90 Prozent Export. Damit ist der Werkzeugsektor für uns somit ein hochgradig globaler Markt. Das läuft sehr gut sowohl in Nordamerika, Europa, Deutschland als auch Frankreich. Wir haben nur einen Rückgang in der Schweiz. In der Schweiz sehen wir in den letzten Wochen eine Erholung.

SMM: Wie laufen Ihre Werkzeugumsätze konkret in der Schweiz?

U. W. Berner: Generell ist die Nachfrage gedämpft, aber da die Werkzeuge in der Schweiz nur einen kleinen Prozentsatz am Gesamtumsatz ausmachen, ist das nicht problematisch.

SMM: Begonnen hat Urma mit Ausdrehsystemen, wo liegen hier Ihre Stärken?

U. W. Berner: Die Ausdrehsysteme im Durchmesserbereich von 0,3 bis 805 mm sind Standard-Katalogprodukte. Sondergrössen bis Durchmesser 2400 mm sind ebenfalls herstellbar, was unter anderem am Beispiel einer Turbinenbearbeitung in China bewiesen wurde.

SMM: Sie haben in den letzten 15 Jahren zwei richtungsweisende Entscheidungen getroffen. Zum einen 2002 die Übernahme der WZM-Vertretung von Haas. 2007 hat Urma die patentierten RX-Reibsysteme in den Markt gebracht. Waren diese Entscheidungen wesentlich für Ihren heutigen Erfolg?

U. W. Berner: Diese Entscheidungen waren matchentscheidend für unseren heutigen Erfolg. Die Haas-WZM als auch die RXReibahlen machen heute fast 90 Prozent unseres Gesamtumsatzes aus. Unsere Ausdrehwerkzeuge, wo wir ursprünglich herkommen, nur noch etwas über 10 Prozent. Urma profitiert massiv von den neuen Reibsystemen als auch dem Werkzeugmaschinen-Handel

Können Sie Ihre Umsatzverhältnisse darlegen?

U. W. Berner: Etwa 30 Prozent unseres Umsatzes kommt vom Haas-WZM-Handel. Die anderen 70 Prozent sind Präzisionswerkzeuge, von diesen 70 Prozent sind etwa ein Fünftel Ausdrehwerkzeuge und vier Fünftel Reibwerkzeuge.

Sie sind mit dem Reiben genau dann in den Markt gegangen, als der Reibsystemhersteller Dihart seinen Standort in Dulliken geschlossen hat. Besteht da ein Zusammenhang?

U. W. Berner: Es hat insofern einen Zusammenhang, dass es gewissermassen eine Art «Schlachtenglück» war. Wir konnten einige Mitarbeiter von Dihart bei uns eingliedern. Der Rückzug der Marke Dihart infolge der Integration in die Komet-Gruppe war für uns natürlich eine ideale Position, um in den Markt zu gehen. Wir hatten einen neuen Brand mit hervorragenden Technologien, tollen Ideen, mit denen wir jetzt voll in den Markt gehen konnten. Dass ein starker Mitbewerber praktisch wegfiel, war Zufall. Das hat uns aber sicher nicht geschadet, auch wenn man bedenkt, dass die Märkte zunehmend global werden.

Sie mussten für das Reiben ein komplett neues Kundensegment aufbauen. Mit Ihren Ausdrehwerkzeugen waren Sie in der Einzelteil- bis Mittelserienfertigung vertreten. Mit dem Reiben geht's in die Grossserie. Wie sind Sie vorgegangen?

U. W. Berner: Reiben geht stark in die Grossserie, nur vereinzelt in die Kleinserien- und Einzelteilfertigung. Wir haben den gesamten Vertrieb neu aufgleisen müssen. Wir mussten mit den RX-Reibsystemen Allianzen mit Partnern aufbauen, die das hierfür entsprechende Kundenklientel haben, aber selbst keine Reibsysteme im Angebot hatten. Mit Sumitomo und PH Horn haben wir genau zwei grosse Vertriebspartner gefunden, die uns geholfen haben unsere Reibsysteme weltweit in den Markt zu bringen.

Gleichwohl, nun stossen Sie mit den RXReibsystemen in einen Sektor vor, in dem es bereits sehr starke und grosse Player auf dem Markt gab, auch sehr gute. Wie können Sie hochgradig anspruchsvolle Kunden aus dem Automotive-Bereich überzeugen, dass sie auf Ihre Reibahlen setzen sollen. Zumal Reiben ein extrem anspruchsvolles – in Bezug auf Präzision – Verfahren ist.

U. W. Berner: Es gab und gibt für uns nur eine Chance: Die Leistung muss stimmen. Leistung ist messbar. Das geht klar zu unserem Vorteil. Zum einen muss die Technologie stimmen. Aber auch der Preis muss passen. Jetzt muss man 1+1 zusammenzählen. Unsere Kunden machen das. Sie prüfen die Werkzeug-Kosten in Euro pro Bohrung oder Preis pro Werkstück. Da müssen wir besser sein als die Konkurrenz. Wir sind in vielen Fällen bedeutend besser. Unsere RX- Reibahlen haben extrem hohe Leistungsmerkmale, sei es in der Geschwindigkeit des Reibens bis hin zu den Kosten. Unsere RXReibsysteme haben dank ihrer auswechselbaren Reib-Köpfe enorme Vorteile.

SMM: Sie setzen auf den Werkplatz Schweiz, haben mit Herrn Lothar Horn (CEO und Inhaber der Paul Horn GmbH, Tübingen) einen deutschen Verwaltungsrat. Haben Sie nie über eine Produktionsverlagerung ins Ausland nachgedacht?

U. W. Berner: In Bezug auf unsere Werkzeuge: Nein, ganz klar nein. Wir haben zwei ausgezeichnete Lizenzpartner, die können unsere Reibsysteme in Lizenz fertigen. Aber wir haben eine Körper-Teilfertigung in den USA.

Mit der jüngsten Investition – der Erweiterung Ihrer Fabrik, wie Sie es nennen – setzen Sie klar ein positives Zeichen für den Werkplatz Schweiz, wo sehen Sie die Stärken des Werkplatzes?

U. W. Berner: Er hat da seine Stärken, wenn es um Innovationen geht. Bei der Entwicklung von Prozessen und Technologien, dort wo der Entwicklungsanteil von neuen Produkten oder Produktionsverfahren hoch ist. Das liegt auch daran, dass der Werkplatz hervorragend vernetzt ist mit den Schweizer und ausländischen Fachhochschulen, Universitäten und Instituten, wie der EMPA. Wir haben für solche Entwicklungsprozesse ausgezeichnete Leute in der Schweiz mit einem entsprechenden Bildungsniveau, die etwas bewegen wollen. Wir können am Werkplatz aber nur Produkte produzieren, die eine entsprechende Wertschöpfung haben. Wie gesagt: Einfache Werkzeughalter produzieren wir hier bei Urma in Rupperswil nicht mehr, das wäre zu teuer.

Was heisst das für die Zukunft des Werkplatzes Schweiz?

U. W. Berner: Der Werkplatz hat seine Tücken. Man muss ihn richtig einschätzen, man muss genau prüfen, was lohnt sich, hier zu fertigen, und was nicht. Dann kann man entsprechend erfolgreich sein. Haas steigt bei bei der Formel 1 ein. Sie haben einen Haas-F1 mit Ferrari-Motor in der neuen Fertigungshalle stehen.

Welches Potential sehen Sie für Urma als Schweizer Haas-Factory-Outlet?

U. W. Berner: Wir werden dadurch eine extrem hohe Medienpräsenz und MarkenWiedererkennung bekommen. Haas wird durch die Formel 1 bedeutend an Gewicht gewinnen, nicht nur in den Köpfen derjenigen, die im Bereich der Fertigung und Produktion tätig sind, mit viel Streuverlust. Aber viele unserer potentiellen Kunden, die Haas noch nicht kennen, werden durch das F1-Engagement 100-prozentig auf uns aufmerksam. Ich bin sehr gespannt, wie sich das auf unsere Verkaufszahlen auswirken wird.

Apropos Formel 1, mit Urma haben Sie mit Ihren Reibahlen bereits Erfahrungen gesammelt bei BMW Sauber.

U. W. Berner: Richtig, als Technologie-Partner haben wir mit unseren Reibahlen Kurbel- und Nockenwellenbohrungen für Formel-1-Motoren gefertigt. Hier sind wir technologisch absolut top und das zeigt uns, dass wir ganz vorne im Reiben mit dabei sind. Wir gehören zu den Besten der Besten. F1-Kunden sind sehr dynamisch. Da kann es sein, dass er heute anruft und sie gestern liefern mussten. Schnell reagieren reicht dann nicht mehr. Nein, aber im Ernst, das ist ein extrem anspruchsvolles Segment. Haas setzt auf Ferrari-Motoren, für die wir ebenfalls unsere Reibsysteme liefern. Das sind kleine Volumen, Kleinserien, kein grosses Business, aber es macht extrem viel Spass – ist aber eine riesige Herausforderung für ein KMU, wie wir es sind.

Sie sind im Vorstand von Swissmem, wie sehen Sie die aktuelle und zukünftige Situation am Werkplatz Schweiz?

U. W. Berner: Wir befinden uns in einer grossen Phase der Strukturbereinigungen. Die Swissmem-Firmen, die mittlere und grössere Firmen sind, sind vorwiegend im Export tätig und in der Lage die Situation zu meistern. Wo wir Probleme sehen, sind Zulieferunternehmen, die auf dem Lohngefüge Schweiz sitzen. Wenn diese Unternehmen ihre Prozesse und Strukturen in den letzten Jahren nicht perfektioniert haben, dann wird es kritisch für diese Unternehmen. Denn die Lohnkosten in der Schweiz sind zu hoch, um dann konkurrenzfähig zu sein. Der Werkplatz Schweiz wird schrumpfen.

Aktuell sind es etwa 330000 Mitarbeiter am Werkplatz. In welche Richtung wird es gehen?

U. W. Berner: Das ist schwierig vorherzusagen. Ich gehe davon aus, es wird in einer Bandbreite von +/– 10 Prozent schwanken. In den kommenden Monaten wird es sicher nach unten gehen, wenn der Franken weiter so stark bleibt, wovon auszugehen ist.

Bei Ihrem Unternehmen schauen Sie immer nach neuen Strategien und Weiterentwicklungen. Wo sehen Sie Urma in zehn Jahren?

U. W. Berner: Wir wollen uns in der Bohrungsbearbeitung verstärken. Wir werden uns in Zukunft auf den Bereich der Werkzeugentwicklung konzentrieren. Wir hoffen, dass wir in zehn Jahren bedeutend grössere Umsätze machen, eine gute Ertragslage haben. Und wir hoffen, dass wir unsere Investitionen hier am Standort Schweiz nutzen können und unsere Kapazitäten weiter ausbauen können. Wir werden kontinuierlich neue Produkte entwickeln.

Was kann man sich unter neuen Produkten konkret vorstellen?

U. W. Berner: Unsere modularen Reibsysteme gehen aktuell bis minimal 12 mm Durchmesser. Wir wollen auch in den kleineren Durchmesserbereich gehen, wie das dann konkret aussschaut, werden wir im kommenden Jahr mit Sicherheit aufzeigen. Lassen Sie sich überraschen.

Werden Sie auch in Mitarbeiter investieren?

U. W. Berner: Wir investieren immer in Mitarbeiter und in Talente. Eine grosse Freude ist, wenn wir Polymechaniker ausbilden, die anschliessend die Fachhochschule besuchen und wieder zurück zu uns kommen als Applikationsingenieure. Das sind unsere jungen Wilden, die fördern wir, aber fordern sie auch. Wir investieren viel in deren Weiterbildung, sie sind die Treiber für unsere Zukunft.

Autor Matthias Böhm, Chefredaktor SMM