14.10.2016

«Ich sehe nur Vorteile, wenn ich eine Stelle mit einem Schweizer besetzen kann»

Artikel: AZ Zeitung

Schweiz-EU In den Hallen der Urma AG diskutieren Ende Oktober unter anderem FDP Ständerat Philipp Müller und Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl über das Verhältnis Schweiz-EU. Der von der Aargauischen Industrie- und Handelskammer mitorganisierte Anlass liegt auch dem Gastgeber am Herzen. «Wir Arbeitgeber sind Teil der Lösung», sagt Urs Berner.

Die Schweiz ist für die Urma AG zu klein.

Das Rupperswiler KMU exportiert 92 Prozent seiner Präzisionswerkzeugsysteme, die weltweit für Bohrungsarbeiten eingesetzt werden. Die Frage «Schweiz und Europa – wie weiter?» beschäftigt deshalb natürlich auch den CEO Urs Berner. Am 25. Oktober lädt er zu einem Economiesuisse-Anlass unter diesem Titel in seine Fabrikhallen. «Vor drei Jahren hätten wir das nicht gemacht», sagt er. Der Branchenverband Swissmem, dessen Vorstand er angehört, habe aus dem damaligen Ja zur Masseneinwanderungsinitiative aber gelernt: «Wir als Arbeitgeber sind jetzt ein Teil der Lösung, das Volk will unsere Meinung hören.»

Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative geht in die heisse Phase, der Nationalrat hat sich gegen eine Konfrontation mit der EU entschieden. Glücklich?

Urs Berner: Ja, ich bin zufrieden mit der Debatte im Nationalrat. Sie hat gezeigt, dass man die Bilateralen will. Trotzdem sollte der Ständerat noch nachbessern und dem Bundesrat die Möglichkeit geben, bei Extremsituationen einzugreifen. Schliesslich können wir nicht unbegrenzt Leute integrieren.

Gerade der Wirtschaft wird ja vorgeworfen, ohne Not Ausländer in die Schweiz zu holen.

Dieses Bild ist, zumindest für unsere Branche, absolut falsch. Im Gegenteil: Ich sehe nur Vorteile, wenn ich eine Stelle mit einem Schweizer oder einem Secondo, der schon lange hier lebt, besetzen kann. Denn dieser ist sprachlich und kulturell bereits integriert. Wir holen in Europa nur Leute für hoch spezialisierte Bereiche, zum Beispiel für die Werkzeugbeschichtung.

Das – von der EU verwehrte – Wunschszenario vieler hiesiger Politiker wäre ja eigentlich: Bilaterale ohne Personenfreizügigkeit. Aber ist Letztere für Sie als Unternehmer nicht gerade das wichtigste Element des Pakets?

Ja, die Personenfreizügigkeit bringt uns am meisten. Die anderen Elemente stehen weniger im Zentrum. Welchen mittelfristigen Effekt die Kündigung der Bilateralen hätte, kann heute aber sowieso niemand sagen. Es ist gut möglich, dass wir das durchstehen könnten. Aber das politische und wirtschaftliche Verhältnis zur EU würde sich massiv verändern. Und das ganz sicher nicht zum Besseren.

Wie würde ein mögliches Szenario bei ihnen aussehen?

Wir haben Produktionsstandorte in der EU und den USA, wo wir heute etwa 20 Prozent unserer Produkte herstellen. Wir könnten also noch mehr verlagern. Was ich aber natürlich nicht möchte.

Sind für solche Verlagerungs-Entscheide nicht andere Faktoren wichtiger? Die Wachstumsmärkte liegen ja eher ausserhalb der EU?

Klar, grundsätzlich versucht jeder dort zu produzieren und zu vertreiben, wo der Markt ist. Man kann aber auch – wie wir hier in der Schweiz – seine Energien bündeln und sich für einen Standort entscheiden. Nun ist der Werkplatz Schweiz aber sowieso schon in Schwierigkeiten, etwa wegen der hohen Lohnkosten. Der Wegfall der Bilateralen wäre ein weiteres negatives Signal.

Wie gut ist der Zugang zum EUMarkt heute?

Er ist ok, aber nicht so perfekt wie innerhalb der EU, denn wir haben ja immer noch die Zollhemmnisse.

Wie wirken sich diese aus?

Durch Zeitverlust. Ich kann Waren nicht innerhalb von Stunden über die Grenzen bringen. In der von uns belieferten Autoindustrie etwa ist Geschwindigkeit jedoch enorm wichtig. Wir lösen das Problem mit dem Konstrukt «Eurolager», aus dem heraus wir Europa mit Teilen beliefern. Ich sage immer: Die Industrie findet für alle Probleme Lösungen. Aber diese haben halt immer ihren Preis. Und irgendwann wird es dann zu teuer.

Ist es möglich, dass die Zollschranken bald fallen?

Ich hoffe es, denke aber nicht, dass ich das noch erleben werde. Der inländische Markt wird mit den Zollschranken ja auch geschützt.

Auch der EWR ist keine Zollunion. Trauern sie dem EWRNein von 1992 trotzdem nach?

Ein EWR-Betritt wäre sicher die beste Lösung gewesen. Wir hätten über Nacht ein Multipaket mit nur Wirtschaftsverträgen erhalten, das man dann in der Folge unter hohen Kosten mühsam ausgehandelt hat.

Eine Herausforderung bei den Verhandlungen ist ja, dass die Schweiz einem grossen Block gegenübersteht. Viele Leute, hat man das Gefühl, hoffen deshalb geradezu auf eine Desintegration der EU.

Wenn es der EU schlecht geht, geht es auch uns auch schlecht, wir können uns nicht abkoppeln. Und ein grosser Block hilft uns natürlich, etwa wegen der Vereinfachung durch die einheitliche Währung.

Sie sehen die EU also nicht als Bedrohung.

Ganz und gar nicht, für uns als Unternehmer ist sie so etwas wie der Heimmarkt. Die Schweiz hat als Markt ja nicht die kritische Grösse, um ein grosses, globales Produkt «auf den Boden» zu bringen. Von hier aus muss man immer zuerst exportieren, ist immer der Ausländer. Deshalb haben wir auch diese EUVerliebtheit.

Beruht diese Liebe auf Gegenseitigkeit?

Gerade in der Werkzeugindustrie sind wir ein integrierter Teil und nicht irgendwo «die Schweizer». Wir haben ja auch überall Komponenten drin.

Und die Beziehung hat sich jüngst nicht verschlechtert?

Im Gegenteil. Denn die von uns verkörperten Werte wie Zuverlässigkeit und Qualität sind Elemente, die im Industriesektor immer wichtiger werden. In einem komplexen Produktionsprozess gibt es heute so viel Instabilität, dass ein paar stabile Pfeiler hoch willkommen sind.

An der Veranstaltung vom 25. Oktober wird hier die Frage «Die Schweiz und Europa- wie weiter?» diskutiert. Also: Wie weiter?

Als Unternehmer würde ich jetzt auf Zeit spielen. Es gibt Momente, in denen man verhandeln kann und solche, in denen das nicht möglich ist. Und ein «Nein» jetzt bedeutet ja nicht ein «Nein» in zehn Jahren.