01.02.2022

Jessica und Yannick Berner treten neu in den Verwaltungsrat der URMA AG ein

Die dritte Generation übernimmt beim Rupperswiler Industrieunternehmen Verantwortung

Beitrag in der Aargauer Zeitung von Sébastian Lavoyer (Text) und Chris Iseli (Fotos)

Online Artikel: Aargauer Zeitung
PDF: E-Paper

Jessica und Yannick Berner werden mit 31 respektive 29 Jahren in den Verwaltungsrat der Urma AG berufen – als dritte Generation beim Rupperswiler Industrieunternehmen. Innovation hat das Unternehmen immer geprägt, neu sind Themen wie Nachhaltigkeit oder moderne Arbeitsverhältnisse in den Fokus gerückt. Die Geschichte eines Generationenwechsels.

Anfänglich deutete für Aussenstehende nichts darauf hin, dass Jessica und Yannick Berner dereinst als dritte Generation ins Familienunternehmen einsteigen würden. Vor allem bei ihm. Denn Jessica studierte zwar südostasiatische Kunstgeschichte und Sinologie, aber sie arbeitete daneben in der Buchhaltung der Urma AG, ein Studierendenjob im Familienbetrieb.

Yannick dagegen hatte ganz klar das Ziel, nach seinem Wirtschaftsstudium in St.Gallen und London Karriere im Spitalmanagement zu machen. Während des Studiums aber machte er ein Praktikum in der Urma-Niederlassung in Schanghai: «Da habe ich unsere Produkte im Einsatz erlebt. Das war faszinierend und eine Art Erweckungserlebnis.»

Unterdessen sind die Geschwister seit drei Jahren für die Urma AG tätig. Seit 2020 sind sie beide in der Geschäftsleitung, sie ist verantwortlich für Personal und Finanzen, er für Marketing und Digitalisierung. Und Anfang dieses Jahres wurden sie von ihrem Vater auch in den Verwaltungsrat berufen. Sie sind nun nicht nur in der operativen, sondern auch in der strategischen Verantwortung. Und obwohl noch vor zehn Jahren nichts darauf hindeutete, ist es kein Zufall.

Der chinesische Einfluss der Mutter

Urs Berner hat seine Kinder nie unter Druck gesetzt oder ihnen gegenüber Erwartungen geäussert. Er hat sie machen lassen. Und als Yannick 2016 plötzlich die Idee aufbringt, einen Familienrat zu gründen, zögert Urs nicht. Von da an wurden seine Frau Catherine sowie die drei Kinder, Jessica, Yannick und dessen Zwillingsbruder, regelmässig über das Firmengeschehen informiert. Auch die Nachfolge war ein regelmässiges Thema.

Schon im Familienrat ging es um ähnliche Dinge wie jetzt im Verwaltungsrat: um das grössere Ganze, die allgemeine Ausrichtung. «Yannick und ich machten uns zum Beispiel dafür stark, dass man für die Niederlassung in Schanghai einen chinesischen Geschäftsführer findet, jemanden, der immer vor Ort ist, aber zugleich Sprache und Kultur versteht», sagt Jessica Berner. Die kulturelle Sensibilität rührt auch daher, dass ihre Mutter ursprünglich aus Hongkong kommt.

Familiensprache ist Englisch, wobei die Kinder von ihrer Mutter auch etwas Kantonesisch gelernt haben. Deren Einfluss geht aber weiter. Die hohe Wertschätzung der Familie, das Bedürfnis für Harmonie – das alles geht vor allem auch auf sie zurück. Und so sind die Diskussionen mit dem Vater, ob nun in der Geschäftsleitung oder im Verwaltungsrat, zwar angeregt und kontrovers, aber letztlich immer auch konsensorientiert.

Heisst das, der Vater bestimmt und sie nicken ab?

Ein doppeltes Nein kommt da von Jessica und Yannick. Zwar ist Urs Berner CEO und Verwaltungsratspräsident und damit am Ruder. Aber: Er habe schon zahlreiche Aufgaben abgegeben, vor allem an Jessica im Bereich Finanzen und Controlling. Und, so Yannick: «Er lässt uns viel Freiheit.» Das erhöhe zwar den Druck, denn er mache sie für ihre Entscheidungen verantwortlich, aber es motiviere auch.

Beruf: Tochter des Vaters? «Ich hatte stark mit diesen Vorurteilen zu kämpfen»

Das eine ist die Zusammenarbeit mit dem Vater, das andere die Aussensicht. Kriegt man als Tochter oder Sohn des Unternehmers nie zu hören, dass man sich ins gemachte Nest setze? «Ich hatte damit früher stark zu kämpfen», sagt Jessica Berner. Für gewisse Leute habe sie nicht für Urma gearbeitet, sondern für ihren Vater. Unterdessen sieht sie es gelassen und ihre Situation nicht als Problem, sondern als Privileg. Neidern begegnet sie mit Kompetenz, Humor und Gelassenheit.

Man müsse sich bewusst sein, was man könne, meint ihr Bruder. Und Jessica habe schon so viel angerissen und umgesetzt, dass längst alle erkannt hätten, was sie draufhabe. Im Unternehmen sei dies ohnehin kein Problem. Hier wüssten die Leute, wer sie sind, was sie können. Yannick Berner sagt: «Der allergrösste Teil unserer Mitarbeitenden arbeitet gerne für einen Familienbetrieb. Sie wissen, dass wir langfristig denken, sozial. Hier ist niemand eine Kennzahl.»

Spuren haben sie beide im Unternehmen hinterlassen, auf unterschiedlichsten Ebenen. So sei das Thema Digitalisierung erst durch Yannick in die Geschäftsleitung gekommen, sagt Jessica. Mit Folgen: Sie haben ausgebaut, neue IT-Leute eingestellt, eine klare Digitalstrategie entwickelt. Digitalisierung stehe jetzt auf allen Ebenen ganz oben.

Wie die neue Generation neue Themen in den Fokus rückt

Es ist eine neue Generation, die da beginnt, das Unternehmen zu prägen. Das zeigt sich nicht nur daran, dass sie mit allen Mitarbeitenden per Du sind, während ihr Vater formeller ist. Die Geschäftsleitung wurde verjüngt. Mehr als die Hälfte seien Millennials, erzählen die Geschwister. Und damit ist nicht nur Digitalisierung wichtiger geworden, sondern auch Themen wie Nachhaltigkeit oder das Bestreben, ein moderner Arbeitgeber zu sein.

Während Corona hat die Urma AG das Dach der Produktion saniert und frisch isoliert sowie auf energiesparsamere LED-Beleuchtung umgestellt. Schon 2018 hat die Firma die grösste private Ölaufbereitungsanlage Europas in Betrieb genommen. Dort wird das Schleiföl, das bei der Fertigung der Reibschneiden durch das Schleifen erhitzt wird, zuerst heruntergekühlt, dann von Metallverunreinigungen gesäubert und schliesslich wiederverwendet.

Noch dieses Jahr ersetzt das Industrieunternehmen zudem die Ölheizung mit einem Wärmetauscher. So kann die Rupperswiler Firma die Abwärme, die bei der Ölreinigung entsteht, gleich selbst nutzen. Zudem bauen sie derzeit eine Fotovoltaikanlage auf das Dach. 20 Prozent des Stromverbrauchs sollen so künftig gedeckt werden können. Und der Rest sei sauberer Strom, wie Yannick Berner betont.

Teilzeitjobs in der Industrie und Roboter für die Routinearbeit

Mit mehr Nachhaltigkeit ist es aber als moderner Arbeitgeber nicht getan. Jessica Berner sagt: «Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist uns sehr wichtig.» Flexibles Arbeiten, Homeoffice-Möglichkeiten – das möchten sie, wo immer möglich, auch als Industriebetrieb bieten können. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sei das unabdingbar, finden sie beide.

Trotz hohen Automatisierungsgrades sind sie derzeit kräftig am Ausbauen. Sie hätten selten so viele Stellen ausgeschrieben gehabt, sagt Yannick. Und: «Automatisierung erhöht die Effizienz, aber sie spart kein Personal ein.» Ohne Roboter hat man als in der Schweiz produzierender Industriebetrieb auf dem internationalen Markt keine Chance. Urma verkauft 95 Prozent ihrer in Rupperswil produzierten Produkte ins Ausland (siehe auch Box dazu).

Weil aber immer mehr Routinearbeit von Maschinen übernommen wird, braucht es ringsum immer besser qualifiziertes Personal. Es ist die Herausforderung von Jessica und Yannick Berner, diese Leute für ihr Unternehmen zu gewinnen. Darunter auch Leute, die auch für Google oder andere Techunternehmen arbeiten könnten.